Wer schon alles über plyometrisches Training weiß und sich nur für Übungen interessiert, sollte direkt zum Punkt „Wass funktioniert“ vorscrollen.
Um die Frage direkt zu beantworten: Ja, jeder Athlet sollte plyometrisches Training lieben! Es erbringt einen direkten Übertrag in die jeweilige Sportart via Schnell- und Maximalkraft, sowie durch erhöhte Maximalleistung. Allerdings: plyometrisches Training alleine reicht nicht aus, vielmehr muss es in ein sportspezifisches Krafttraining integriert sein.
Warum ist das so? nun, zuerst die Grundlage – wie definieren wir Plyometrie?
Plyometrie (gr.: pleiôn = mehr; metreô = messen) bezeichnet eine Art von Schnellkrafttraining, die auf den Dehnungsreflex der Muskeln und Sehnen sowie die Kontrolle über diesen sowie des Muskelspindelapparates beruht. Häufige Anwendung dieses Trainings findet man bei Hochspringern, Sprintern, Basketball-Spielern und Torhütern sowie in anderen Sportarten, die auf Sprintschnelligkeit oder Sprungkraft setzen. […] Zudem gibt es auch plyometrische Übungen für den Oberkörper. Diese können zum Beispiel beim Boxtraining zum Einsatz kommen, wo eine möglichst große Kraftentwicklung in kürzester Zeit auch eine große Rolle spielt.
Beim plyometrischen Training wird der Dehnungs-Verkürzungszyklus trainiert, d.h. durch das Körpergewicht (z.B. beim Tiefsprung) wird eine Vorspannung der Muskulatur erzeugt. Das Auflösen der Vorspannung ist wesentlich schneller als eine konzentrische Kontraktion allein. Durch die Kopplung der Auflösung der Vorspannung und der direkt folgenden konzentrischen Kontraktion wird auch diese beschleunigt.
Zusammengefasst: Plyometrie ist ein sehr fachliches Wort für Dinge die jeder Mensch seit Kindertagen tut – hüpfen und springen. In spezifische Übungen gepresst fördert sie Schnellkraft, Leistung und Explosivität. Diese drei Eigenschaften wiederum sind essentiell für so ziemlich jede Sportart und, jeder Athlet der sie spezifisch trainiert, ist dem Durchschnitt klar überlegen.
Auch wer keinen dedizierten Wettkampfsport betreibt sollte sich für Plyometrie erwärmen. Schnellkraft, Leistung und Explosivität stehen jedem, egal ob ich schneller die Hantel vom Boden reißen oder mit dem Hund tollen will.
Wie funktionieren plyometrische Übungen?
Im Gegensatz zu klassischem Krafttraining sind plyometrische Übungen (PU) grundsätzlich explosiv in der Ausführung, maximal im Energieausstoß – ausgelegt auf maximale Geschwindigkeit und Energie. Dabei kann man PUs in drei Phasen unterteilen:
- Die konzentrische Phase oder Kontraktion: Die Explosive Anspannung der Muskulatur. Zum Beispiel das explosive Abstoßen vom Boden bei einem Sprung
- Die exzentrische Phase oder Kontraktion: Die Verlängerung der Muskulatur gegen einen Widerstand (Muskelspannung). Zum Beispiel die Landung nach einem Sprung, in der die Beschleunigungsenergie absorbiert wird
- Die Amortisierungsphase: Kurz gesagt die Zeit zwischen konzentrischer und exzentrischer Phase, quasi die minimale Ruhepause zwischen zwei maximalen Belastungen.
Bei PUs ist es wichtig diese drei Phasen so schnell wie möglich zu durchlaufen. In der Regel sollte die Phase zwischen Landung und Absprung so kurz wie möglich sein um den positiven Effekt plyometrischen Trainings auf die Athletik zu maximieren. (Ausnahmen bestätigen die Regel, z.B. Übungen aus der exzentrischen Startposition).
Dies wird auch als Stretch Shortening Cycle (zu Deutsch: Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus) bezeichnet.
Der Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ) ist die aktive Verlängerung der Muskulatur unmittelbar gefolgt von der Kontraktion desselben Muskels. Hierbei kommt es nach der Verlängerung (durch Körpergewicht oder andere Muskeln) zunächst zu einer exzentrischen, dann zu einer konzentrischen Kontraktion. Da Muskulatur plastisch und elastisch ist, muss die Kontraktion unmittelbar nach der Dehnung erfolgen, bevor sich die Muskulatur der Dehnung angepasst hat. Der DVZ ist durch gespeicherte Energie aus vorherigen Bewegungen besonders schnell und energiesparend. […] Der DVZ ist abhängig von der Flexibilität von Sehnen und Bändern. Da diese jeweils bis zum Anschlag gedehnt werden müssen, ist eine hohe Dehnbarkeit ungünstig für die Entwicklung des DVZ. Auch bereits Kinder entwickeln hierbei pro Kilogramm Körpergewicht, eine Schnelligkeit im DVZ, die hinter Erwachsenen nicht zurücksteht.
Die Hintergründe
Im klassischen Krafttraining, aka Hypertrophie Training, aka Bodybuilding, ist die „Time under Tension“ ein ausschlaggebender Parameter.
Bei Time under Tension (TuT) handelt es sich um einen kalkulativen Ansatz, die optimale Dauer für die Anspannung der Muskeln während eines Trainingssatzes zu finden. Eine Grundvoraussetzung von Time under Tension ist die Kontinuität. Es dürfen während der Anspannungsphase keine Pausen eingelegt werden. Zwischen den Anspannungsphasen sollten möglichst kurze Ruhepausen liegen. Ziel einer hohen TuT ist Hypertrophie, also die Größenzunahme eines Gewebes durch Vergrößerung der einzelnen Zellen, beispielsweise infolge vermehrter Beanspruchung. Das heißt, Wiederholungen sollten langsam und kontrolliert ausgeführt werden bei minimalen Satzpausen um das Muskelwachstum maximal zu stimulieren.
Im Gegensatz dazu ist, wie oben erwähnt, bei plyometrischem Training maximale Explosivität der entscheidende Faktor. Damit zielt Plyometrie nicht auf Hypertrophie, sondern vielmehr auf eine Leistungssteigerung des zentralen Nervensystems (ZNS) – Reaktionsgeschwindigkeit, maximaler Output – ab. Bei allen Bewegungsabläufen gibt es eine bewusste und eine unbewusste Kommunikation zwischen Hirn und Muskeln, je schneller diese geschieht, desto schneller die schlussendliche Bewegung.
Natürlich haben PUs auch einen direkten positiven Effekt auf die beteiligten Muskeln, indem sie die schnell kontrahierenden Fasern ansprechen und ggf. ihre Anzahl pro Muskel vermehren.
Wichtig ist dabei, dass natürliche genetische Potential eines Individuums zu betrachten. Von der Natur mitgegeben hat jeder Mensch eine individuelle Verteilung zwischen schnell und langsam kontrahierenden Fasern (und deren verschiedene Spielarten). Michale Phelps und Usain Bolt sehen nicht aus wie sie aussehen weil sie sprinten, respektive schwimmen. Sie dominieren Ihre Sportarten, weil sie aussehen wie sie aussehen (ergo ihrer Genetik und ihrem Talent für die jeweilige Anforderung).
Nicht in allem auf dem Plyometrie draufsteht ist auch Plyometrie drin – und es funktioniert trotzdem
Plyometrische Übungen bedürfen aller drei oben beschriebenen Phasen: Konzentrische, Amortisations und Exzentrische Phase. Um diese Anforderungen zu erfüllen muss die Bodenkontaktzeit minimal und der Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus maximal sein.
Daher sind nicht alle Sprungübungen plyometrisch (was sie nicht weniger wirkungsvoll macht) und schon gar nicht alle plyometrischen Übungen Sprünge! (wenn wir nach der wissenschaftlichen Definition gehen)
So sind zum Beispiel ballistische Übungen für den Oberkörper (Stöße mit dem Medizinball, Medizinball-Pässe) nicht plyometrisch, haben aber dennoch ihren Nutzen im Training. Das gleiche gilt zum Beispiel auch für Boxensprünge. Daher sollte man nicht zu wortgetreu reagieren, wenn es gilt das ZNS-Potential zu maximieren und den Leistungsübertrag zu maximieren!
Was funktioniert
Durch die hohen Anforderungen an das zentrale Nervensystem sollte Frequenz und Intensität pro Woche auf den jeweiligen Athleten und dessen Trainingsstand angepasst sein. Generell sollte die Zahl von 75 Wiederholungen (Wdh) pro Trainingseinheit nicht überschritten werden, ein Satz sollte nicht mehr als 10 Wdh enthalten. Bei negativen Übungen (Tiefsprünge, siehe unten) sind 30 Gesamtwiederholungen das Maximum. Die Erholungszeit sollte im oberen Bereich liegen, zwei bis fünf Minuten sind ein gutes Mittel. Nicht mehr als drei klassische plyometrische Übungen (Bodenkontaktzeit <0,2 Sekunden), ballistische und Geschwindigkeits-Übungen sind davon nicht betroffen. Plyometrisches und ballistisches Training gehört immer an den Anfang einer Trainingseinheit!
Tiefsprünge (Depth Jumps)
Wichtig bei einem Tiefsprung ist die minimale Bodenkontaktzeit. Tiefsprünge sind SEHR herausfordernd für den gesamten Körper (daher auch die geringere Wiederholungszahl) und sollten langsam gesteigert werden. Da der Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus sich sehr stark auf die Bänder und Sehen auswirkt (nochmal stärker bei Tiefsprüngen) ist hier Vorsicht geboten: Nur, weil es leicht aussieht, muss es das nicht sein. Beginner starten mit niedrigen Ausgangshöhen und explodieren maximal bei minimalem Bodenkontakt. Weitere Hindernisse sollten erst nach einiger Trainingszeit hinzugefügt werden.
Tiefsprünge wirken sich nicht nur positiv auf die maximale Sprunghöhe aus, sondern auch auf die allgemeine Explosivität und Maximalkraft.
Hocksprünge (Tuck Jumps)
Hier gibt es nicht viel zu sagen: Die Füße schulterbreit halten, springe, Knie maximal zur Brust, mit gestrecktem Bein landen, dabei die Energie weich abfedern, minimale Bodenkontaktzeit beachten.
Abwechselnde weite Sprungschritte (Alterante Leg Bounding)
Ziel ist es so lange wie möglich in der Luft zu bleiben, die Landung passiert mit dem jeweiligen Schwungbein. Ziel ist Weite und minimale Kontaktgeschwindigkeit, eine Wiederholung ist ein je ein Kontakt mit dem rechten und linken Fuß.
Kistensprung mit Abfedern (Bounce Box Jumps)
Wichtig ist es nach der Landung sich komplett aufzurichten, dann von der Box springen, minimale Kontaktzeit auf dem Boden.
Seitliche Kistensprünge (Lateral Box Jumps)
Wichtig ist die minimale Kontaktzeit auf Box und Boden, keine zu hohe Box wählen. Ein gestreckter Körper ist wichtig.
Skips (Pogo Jumps)
Reaktionszeit, Reaktionszeit, Reaktionszeit – darum dreht es sich bei dieser Übung.
Hürdensprünge (Hurdle Jumps)
Die Hürdenanzahl sollte durch die Sprunghöhe begrenzt sein. Bei zehn Wiederholungen sind tiefe Hürden zu empfehlen, bei z.B. drei Wdh können sie viel höher sein.
Oberkörpersprünge ( Upper Body Jumps)
Solche Übungen sind sehr komplex und benötigen eine hohe Explosivkraft. Sollte diese noch nicht ausreichend sein, empfehlen sich ballistische Übungen zum Aufbau:
Zusammenfassung
Die Vorteile plyometrischen Trainings: Mehr und besser vorbereitete schnell kontrahierende Muskelfasern. Weniger Verletzungsanfälligkeit durch stärkere Sehen. Ein auf maximale Leistungen hin vorbereitetes zentrales Nervensystem. Direkter Übertrag in alle Sportarten (mehr Heben, schneller Laufen, höher springen – you name it).
Und was ist mit der Verletzungsgefahr?
Grundsätzlich kann jeder springen, aber: explizit plyometrisches Training – und vor allem Tiefsprünge – fordern die Körper stark. Die Übungen müssen dem aktuellen Kraft- und Stabilitätslevel stets angepasst sein! Vor allem Gelenke, Bänder und Sehen müssen an hohe Lasten gewöhnt sein, oder gewöhnt werden. Gewichttraining wird hier alleine nicht reichen, Cardiotraining und Explosives Training sind gute Voraussetzungen neben dem klassischen Gewichtstraining. Wer also bereits aktiv Bewegungssport betreibt sollte hier eine gute Grundlage haben und Krafttrainingsanteile ggf. erhöhen oder mit aufnehmen. Kraftsportler (Bodybuilder, Powerlifter, Gewichtheber) sollten Cardio und Explosivkrafttraining mit aufnehmen und/oder erhöhen.
Grundsätzlich gilt: sauber ausgeführt können plyometrische Übungen die Verletzungsanfälligkeit der unteren Extremitäten verringern.
Viel Erfolg und maximale Zuwächse
Euer Team HEBERWISSEN