Der Titel ist eine Falle! Es soll nicht nur um Krafttraining gehen, dass verstörender Weise in vielen Sportarten noch als lästiges Beiwerk angesehen wird. vielmehr soll es um Gewichtheben gehen. Olympisches Gewichtheben! Die Königin unter den Kraftleistungen!
ABER KLICKT NICHT GLEICH WEG – GEBT UNS EINE CHANCE UNS ZU ERKLÄREN!
Wer um Himmels willen soll denn bitte olympisch Heben (Reißen und Stoßen) außer echten Gewichthebern? Athletiktraining ist doch viel wichtiger! Die Technik ist doch viel zu kompliziert für jeden der nicht auf die Wettkampfbühne will! Und überhaupt, die Verletzungsgefahr bei solch schwerem Training. Und in Sportart XY ist zu viel Muskelmasse auch eher hinderlich…. So und ähnlich sind die Argumente langjähriger Trainer im Breiten- und Leistungssport wenn es um das schwere Krafttraining im allgemeinen und das olympische Heben als unterstützende Trainingsform geht.
Das Marc Verstegen die Fußball Nationalmannschaft anscheinend mühelos fit kriegt ohne schweres Gewicht, Werder Bremen spektakulär mit CrossFit als unterstützende Trainingsform scheitert – all das ist Wasser auf die Mühlen der Hantel-Gegner.
Dabei wird olympisches Heben (OH) in den Grundübungen – und vielmehr noch mit Übungen der Teilbewegungen und Zusatzübungen – vor allem in klassischen kraft- und beschleunigungsintensiven Einzel- und Mannschaftsportarten genutzt. Dies leider vor allem, das muss erwähnt sein, im Ausland. Im Angloamerikanischen und Osteuropäischen Raum ist OH als Trainingsergänzung auch schon bei Jugendlichen anzutreffen und vollkommen anerkannt.
Warum werden solch komplexen Übungen (und im viel höheren Maß ihre weniger technisch fordernden Geschwister, die Zusatzübungen) genutzt? Nun, die olympischen Hebeformen bringen einige interessante Nebenwirkungen mit sich, die jeder Athlet gebrauchen kann:
Mehr Sprungkraft:
Mehr Körperkraft:
Mehr Rücken-/Kernstabilität:
Gesunde uns starke Schultern:
Hohe Handlungsschnelligkeit:
Das offensichtliche Gegenargument: das sind alles Profis im hohen Leistungsbereich, Spezialisten in Ihrem Sport. Das ist doch nicht mit anderen Athleten oder gar Breitensportlern zu vergleichen. Nun, den Gegenbeweis tritt, exemplarisch herausgegriffen, Martin Zawieja mit seinem Projekt Langhantelathletik an. Neben den DFB (Jugendförderung) und dem DHB unterstützt er Projekte im Ringen und Bobfahrern, über Handballteams verschiedenster Alters- Geschlechter- und Leistungsstufen bis hin zu Golfern. Mehr zu Langhantelathletik hier. Ein weiteres Beispiel? David Gröger von PlusD. Mit Handballmannschaften wie dem Bergischen HC, VfL Eintracht Hagen, TV Bayeröhde wird ebenfalls mit Teilaspekten des Gewichthebens gearbeitet um die Leistung auf dem Feld zu optimieren.
Warum olympisches Heben? SAID!
Das SAID Prinzip (Specific Adaptation to Imposed Demands) ist ein wichtiger Baustein der Trainingsplanung zur athletischen Leistungssteigerung. Vereinfacht gesagt postuliert das SAID-Prinzip eine Abhängigkeit von Ursache und Wirkung: Wer schwer hebt wird an Maximalkraft zulegen. Wer leicht und hochvolumig hebt wird kraftausdauernd. Wo aber ist der Übertrag von Gewichthebeübungen? Nun, viele Sportarten verlangen hohe Explosivkraft (die Kombination von Maximalraft und Geschwindigkeit).
Zu Recht kann man anführen, dass sich Hebeübungen nur schwerlich auf direkte Anforderungen wie Werfen, Dribbeln, Schwingen übertragen. Aber: Keine Hantelübung fördert explosive Kraft wie Reißen, Stoßen und deren Derivate!
Kurzer Exkurs: was ist funktionell/Functional?
Training muss heute funktional sein – wobei der Begriff nicht geschützt ist und ergo jeder seine eigene Meinung hat. Aus der Erfahrung heraus bietet sich sicherlich eine einfache Faustformel an: Wenn der Sport, das Leben, die Arbeit z.B. das stehen mit, tragen und heben von Gewichten beinhaltet, sind Farmers Walks sicherlich funktional. Wenn das tägliche Leben konstante Belastung auf hochmobilem Untergrund (z.B. Murmeln?!?) verlangt, dann ist Beugen auf dem Bosu-Ball eine Alternative. Einfach gesagt: Wird mehr als ein Gelenk und eine Muskelgruppe aktiviert, dann lasst es uns funktional nennen. Alles andere ist Isolation.
Aber sind die olympischen Übungen denn funktional? Nun, der 2. Zug des Kraftumsetzens zum Beispiel produziert mit am meisten Power aller Widerstandsübungen.
Und das ist keine Übung die schwer zu erlernen ist!
Warum olympisches Heben? UAL!
Die Universal Athletic Position (UAL – gibt es dafür eine deutsche Entsprechung? Man weiß es nicht) findet sich in vielen Situationen im Sport. Beispiele können sein: Deckungsarbeit im Handball, Kampfhaltung im Kickboxen, der Stand im Golfschwung.
Eine gute UAL benötigt einen starken, stabilen Kern mit einem starken Rücken, stabile Knie und Handlungsschnelligkeit um aus ihr heraus zu agieren. Und siehe da, Reißen, Stoßen und die Zusatzübungen beinhalten viele Möglichkeiten diese Position zu trainieren.
Warum olympisches Heben? Progression!
Eine vielfach geäußerte Kritik am olympischen Heben ist seine Komplexität und die hohe Verletzungsgefahr für Anfänger. Die Verletzungsgefahr wird vor allem mit der Nutzung schwerer Gewichte assoziiert. Nun, um eine komplexe Übung zu erlernen bedarf es Progression, der Weg eines Fußballers startet ja auch nicht in der Champions League. Die Grundübungen kann man in Lernphasen unterteilen und schon technische Übungen mit einem Besenstiel verbessern merklich die Motorik und die zentralnervöse Ansteuerung. Athleten, egal welchen Alters müssen an komplexe Aufgaben herangeführt werden, das gilt auch und vor allem für das Hanteltraining. Und seien wir mal ehrlich: jedem Trainer (und ernsthaften Athleten) sollten die Auswirkungen des olympischen Hebens – mehr Kraft, mehr Explosivität, mehr Sprungkraft, ein stabiler Kern wichtiger sein als schöne runde Bizepse und Training ohne Übertrag.
Wie könnte ein Trainingsplan aussehen?
Wer mit dem olympischen Heben beginnt braucht zwei Dinge: Kraft und Technik. Um beide Aspekte schnell zu verbessern bietet sich ein einfacher, auf die Grundbedürfnisse abgestimmter Trainingsplan an. Ein gutes Beispiel für einen solchen Plan ist zum Beispiel das Einsteigertraining von Glenn Pendlay. Dieser fokussiert sich auf Maximalkraft (Kniebeuge, Drücken), Techniktraining (Reißen & Stoßen), sowie Zusatzübungen um den Bewegungsablauf zu stärken (Arbeit aus dem Hang, Züge). Im folgenden ein Beispielplan:
Vor allem am Anfang macht man schnelle Fortschritte bei den genutzten Gewichten sobald die Technik besser wird. Daher werden bei diesem Beispiel keine Prozentwerte angegeben. Grundsätzlich wird bis zum Maximum in der jeweiligen Übung für den Tag aufgewärmt, dann werden die angegebenen Sätze/Wiederholungen absolviert. Dabei spielen Schwankungen vorerst keine Rolle, da es vor allem um eine Konditionierung des zentralen Nervensystems (ZNS) sowie die Technikverbesserung geht. Die Kniebeugen sollten so schwer wie möglich ausgeführt werden (saubere Technik vorausgesetzt). Woche eins und zwei werden abwechselnd für mindestens drei Monate absolviert. Das sportspezifische Training sollte unter normalen Umständen unter der verschriebenen Last nicht leiden. Vielmehr werden sich die Trainingsleistungen durch das belastbarere ZNS und mehr Körperkraft verbessern. Ideen für ein noch spezifischeres Training gibt es hier.
Zusammenfassung: Athletiktraining UND Gewichtheben
Muss ich jetzt sofort mit dem olympischen Heben beginnen? Nein, muss ich nicht! Bin ich ein schlechter Athlet, wenn ich mich nicht mit dem olympischen Gewichtheben beschäftige? Nein, bin ich nicht. Verpasse ich etwas, wenn ich dem Thema keine Chance gebe? Ja –auf jeden Fall!
Es muss nicht OH in seiner reinen Form sein um sich dem Thema zu nähern. Teilbewegungen tun es am Anfang auch. Ein guter Start könnte zum Beispiel so aussehen:
Reißzüge vom Block:
Kraftumsetzen:
Hängendes Kraftreißen:
Unserer Erfahrung nach sind dies drei Übungen die Jeder in sein Training integrieren kann, ohne durch zu viel Technik verwirrt zu werden. Der Vorteil: Wichtige Mehrwerte des Gewichthebens werden bereits geschult – wer danach nicht mehr will ist selber schuld 😉 (Probiert es aus mit 2–3 Sätzen mit 3–5 Wiederholungen. Geht nicht über 5 Wiederholungen, führt im Zweifel lieber mehr Sätze aus. Dann steigert das Gewicht, ihr kennt den Kreislauf.)
FAZIT
Mehr Kraft, mehr Explosivität, mehr Sprungkraft, ein stärkerer Kern, mehr Mobilität und eine an Komplexität gewöhntes zentrales Nervensystem. Olympisches Heben sollte zu einer voll umfänglichen athletischen Entwicklung dazugehören. Je früher umso besser.
Viel Erfolg und maximale Erfolge
euer Team HEBERWISSEN
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[…] nicht überschätzt werden (niemand wird über Nacht zum Meister! – mehr dazu auch hier und […]